Dienstag, 20.09.2005
Das Kunstwerk als Gast und Platzhirsch
DEBATTE / Eine Tagung im Lehmbruck Museum fragte nach Kunst im öffentlichen Raum - auch für die Kulturhauptstadt. JENS DIRKSEN DUISBURG. Vielleicht sind es ja Christos unbeschwerte Freiluftverschönerungen von Stadt und Land,
die das Denken über Kunst im öffentlichen Raum einschneidend verändert haben.
Zumindest haben sie gezeigt, dass Befremdung, Empörung und Streit nicht das einzig denkbare Echo auf künstlerische
Eingriffe an Gebäuden, in Landschaften sind.
Skandale sind kein Qualitätsmerkmal Außer dem Ort und der ästhetischen Qualität scheint bei Kunst im öffentlichen Raum auch der Gestus des Kunstwerks eine Rolle zu spielen: Das hermetische, absolute Kunstwerk, wie es im Museum auf eine Auseinandersetzung mit all jenen wartet, die sich bewusst zu ihm hinbegeben - im öffentlichen Raum versagt es. Hier ist die Kunst nicht mehr zu Hause, sondern ein Gast, der nicht unbedingt röhren sollte wie ein Platzhirsch. Freiluftkunst sollte offen sein und relativ. Sollte Beziehungen mit der Umgebung aufnehmen, einladen zum Sehen, Empfinden und Denken. Und so warnte Walter Grasskamp, einer der führenden deutschen Kunsthistoriker,
am Wochenende auf einer Tagung im Duisburger Lehmbruck Museum vor dem Fehlschluss, dass alles,
worüber das Publikum sich aufrege, schon gute Kunst wäre: "Die Geschichte der modernen Kunst
anhand ihrer Skandale zu schreiben hieße schon, ihr und ihrer gezielten Aufmerksamskeits-Erschleichung
auf den Leim zu gehen." Heute ist das Publikum allerdings gelassener geworden, es weiß um die zuverlässig einkehrende Gewöhnung: Keine noch so hässliche Skulptur widersteht auf Dauer dem Gleichmut, den die Menschen im Revier notgedrungen im Umgang mit der oft unterdurchschnittlichen Architektur der Städte entwickeln mussten. Das Symposion im Lehmbruck Museum, veranstaltet vom Kultursekretariat NRW und vom Duisburger Festivalbüro als Projekt der Landes-Initiative Stadtbaukultur, sollte auch ergründen, welche Kunst für den öffentlichen Raum denn die richtige für Europas Kulturhauptstadt des Jahres 2010 sein könnte - so sie denn im Ruhrgebiet liegt.
Die Menschen sitzen nicht im Park, sondern im Auto Hier setzen auch die Grundsatz-Überlegungen des in paris lebenden Konzeptkünstlers Jochen Gerz an, der warnte: "Im Revier wird ja aus jeder Hütte ein Museum gemacht, als sei die Besucherschlange schon die Lösung von allen Problemen." Überhaupt zwifelte Gerz den Anspruch der Kunst der Moderne an, die Lösung aller Problem zu sein - sie sei doch längst Teil des Problems. Kunst dürfe nicht als Konsumgut begriffen werden, sie müsse das Publikum zum Autor, zum Urheber machen. Und sie dürfe nicht dort verschwinden, wo sich niemand mehr aufhalte: "Die meisten Menschen sitzen nicht im Park, sondern im Auto." Vielleicht muss Kunst für ein vorbeifahrendes, ein vorübergehendes Publikum also selber vorübergehend sein, damit sie wirken kann. (NRZ) Niki de Saint Phalles "Life Saver" in Duisburg. Foto: Wolfgang Zschauer |